Raketenaggregate „A1“ und „A2“
(Zitat aus: Reisig: Raketenforschung in Deutschland; S. 700 – 702)
Die allgemeine Anlage der beiden „Modellraketen“ „A1“ und „A2“, die eher als Kleinraketen zu typisieren sind, zeigt bereits das grundsätzliche „Peenemünde-Konzept“: Die übereinander stehenden Treibstoffbehälter für Brennstoff (Alkohol) und Sauerstoff werden überragt von dem Stickstoffbehälter. Das Stickstoffgas dient als Fördermittel für die Treibstoffe, die in getrennten Leitungen in den Brennkammerkopf des Raketenmotors einströmen. Der Raketenmotor selbst sitzt, typisch für Peenemünde, für Kühlungszwecke innerhalb des Brennstoffbehälters. Auch das „klassische“ Druckmindererventil, in der Zellenspitze sitzend und den Druck des Stickstoffgases reduzierend, ist bereits ein wesentlicher Bestandteil der Raketenerstkonfiguration.
Das ursprüngliche Konzept der Raketenexperten sah vor, dass die Fluggeräte im angetriebenen Flug bezüglich ihrer Lage längs der Flugbahntangente stabilisiert werden müssen, um äußere Störmomente, vornehmlich durch Windkräfte, zu neutralisieren. Es ist nun interessant zu erkennen, dass selbst der „Artillerist Dornberger“ eingesteht, dass das Stabilisierungskonzept für die Rakete auf die artilleristischen Ballistikgrundsätze ausgerichtet war (Dornberger, 1952). Das bedeutet die Stabilisierung des Flugkörpers durch Drall, wie bei den artilleristischen Langgeschossen. Aber die Kummersdorfer Raketenentwickler erkannten bald, dass Rotationsstabilisierung des Raketenkörpers bei Flüssigkeitsantrieb dynamisch abwegig ist. Die Flüssigkeitsspiegel der Treibstoffe werden, verursacht durch die Zentrifugalkräfte der Rotation des Flugkörpers, an den Behälterwänden hochgetrieben. Dadurch wird eine kontinuierliche Treibstoff-Förderung gehemmt.
Die Abkehr vom Konzept der artilleristischen, rotationsmäßigen Stabilisierung des Flugkörpers resultierte in der Idee, einen Rotationskörper genügender Schwungkraft, also eines Kreiseltyps, in den Raketenkörper zu setzen. Folglich erhielt die „A1“-Zelle einen schweren Kreiselkörper in die Zellenspitze installiert. Diese vermeintliche Stabilisierungsvorrichtung bedeutete jedoch zugleich das Ende des „A1“-Projekts, da die Rakete mit dieser Stabilisierungslast destabilisierend kopflastig wurde. Dynamisch muss bei einem Flugkörper der Schwerpunkt stets auf der Längsachse vor dem Luftkraftangriffspunkt - d.h. dem Zentralpunkt aller Luftkräfte auf den Körper - liegen. Wegen dieses Fehlkonzepts kam die „A1“-Rakete nie zur Flugerprobung.
Mit der Konfiguration der „A2“-Rakete wurde der dynamische Fehler der „A1“-Rakete dadurch behoben, dass der Kreiselkörper in die Mitte der Zelle, zwischen die beiden Treibstoff-Behälter, verlagert wurde. Die Schwungmasse des Kreiselkörpers wird vor dem Start der Rakete am Boden durch Drehstromantrieb auf 10.000 U/min hochgefahren (v.Braun, 1935). Der Antrieb der „A2“-Rakete gleicht dem der „A1“-Rakete mit einem Schub von 300 kp (2.943 N), und einer Antriebsdauer von 16 s. Zwei „A2“-Raketen wurden im Dezember 1934 auf der Insel Borkum im Flug erprobt. Der erste Start erfolgte am 19. Dezember 1934 mit der „A2“-Rakete namens „MAX“. Ihr Brennschluss erfolgte in 1700 m Höhe. Im Freiflug begann die Rakete stark zu präzedieren, bis sie sich überschlug und abstürzte.
Der zweite Erprobungsflug mit der „A2“-Rakete „MORITZ“ erfolgte am 20. Dezember 1934, eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang. Zu diesem Zeitpunkt ergaben sich, außer für die Kinotheodolit-Vermessungen der Raketenflugbahn, günstige Belichtungsbedingungen für die hoch präzise Phototheodolit-Vermessungsbasis. Bei diesem zweiten Erprobungsflug zeigte sich die Wirksamkeit der Kreiselstabilisierung. In der Antriebsphase der Flugbahn vollführte „MORITZ“ eine Präzessions-Bewegung mit einer Nutationsweite von +/- 10 m. Damit zeigt die Rakete die bei den Artillerielanggeschossen bekannte Nutation unter dem Einfluss eines starken Seitenwindes. Am Ende einer 200 m hohen Starkwindschicht stabilisierte sich die „A2“-Rakete wieder und flog stabil bis zur Brennschlusshöhe. Die Gipfelhöhe dieses Erprobungsflugs betrug rund 2.200 m. Beide Erprobungsraketen konnten aus dem Wattenmeer geborgen werden.
Dimensionen der A1/A2 -Raketen
Länge 1.400 mm
Kaliber 304 mm
Leergewicht 150 kp/l.472 N
Schubkraft 300 kp/2.943 N
Antriebsdauer 16 s
Nach diesem Erfolg der „A2“-Raketen konnten wesentlich weiterreichende Raketenkonfigurationen gewagt werden. Diese Planungen führten zur Entwicklung der „A3“-Rakete.
Zitat über die erfolgreichen Starts des A2 aus:
Ruland, Bernd: Wernher von Braun – Mein Leben für die Raumfahrt
Burda Verlag Offenburg, 2. Auflage 1969, S. 89
„Es war für mich ein erhebendes und stolzes Gefühl. Wir hatten den Beweis, dass wir auf dem richtigen Weg waren. „Max“ und „Moritz“, je etwa mannshoch und mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern, angetrieben von Alkohol und flüssigem Sauerstoff, waren die ersten Raketen, die damals über zwei Kilometer hoch flogen.
Was für mich viel wichtiger war, ist dies: Die beiden waren mein ganz eigenes Werk. Ich habe sie selbst konstruiert, jede ihrer Schrauben am Zeichenbrett entworfen, den Druckregler konzipiert – kurz und gut, ich habe sie von A bis Z zusammengebastelt.
„Max“ und „Moritz“ hatten mir, wie ich so formulieren darf, zum Durchbruch verholfen.“
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